Filmprojekte und Sternehotels

Es ist schon wieder eine Weile her. Und ja, es gibt eine ganze Reihe guter Entschuldigungen dafür, keine Sorge! Die beste momentan ist jedoch, dass ich seit meiner Genesung praktisch ununterbrochen an einem Set von Videos arbeite, die zusammen mit der dazugehörigen Fundraising-Kampagne bald online gehen sollen. Es ist “die beste Entschuldigung”, weil ich zwar tatsächlich gerade hierin die meiste Zeit investiere, aber auch weil es etwas ist, das mir bis jetzt sehr viel Spaß gemacht hat und mich immer in den Bann zieht, sobald daran arbeite. Es ist auch etwas, in dem ich ein klein wenig Expertise beweisen kann und nicht nur mitlaufe, in der Hoffnung meine Kollegen nicht völlig zu enttäuschen. Dennoch ist es trotzdem auch noch eine großartige Lernmöglicheit: Nicht nur weil ich mich in der Technik selber vorantreibe und neue Dinge ausprobiere, sondern auch, weil es im Hinblick auf die Arbeit der Organisation deutlich macht, wie sehr versucht wird, im Strom der Zeit zu leben. Nun ist dieser Weg im Falle einer nicht-profitorientierten Organisation, die sich versucht online zu präsentieren, um hierüber ihre Präsenz zu erhöhen und Gelder von unterschiedlichen privaten Spendern einzunehmen, vollkommen logisch. Doch die Arbeit mit AES hat mich auch einige Male über Situationen stolpern lassen, in denen ich mir nicht mehr sicher war, wie viel Komfort klar und konsequent ist, und wie viel davon einfach nur – naja – komfortabel zu sein scheint. Schon unsere Arbeitsplätze sind so kurios und unterschiedlich wie es nur kommt: Ich habe schon in der edlen Hochhauswohnung meiner Chefin, in dem unaufgeräumten Schlafzimmer ihres Freundes, in dem Hinterzimmer seiner Motorradwerkstatt und von meinem eigenen kahlen Zimmer heraus gearbeitet. Die “Zentrale” der Organisation liegt jedoch im ersten Stock eines 5-Sterne-Hotels und besteht aus einem edlen Büro, vollgepackt mit Utensilien, die so gar nicht edel wirken wollen: Wild zusammengeworfene Schreibwaren, leere Marmeladengläser, ein Haufen an Saatgutpäckchen, leere Ölkanister und sogar ein schlecht gespannter, stöckerner Bogen ohne Pfeile. Man sollte meinen, all diese ungewöhnlichen Dekorationen könnten das edle Ambiente nachhaltig übertünchen, doch die Glasfassade am Ende des Raumes, die direkt auf den klar blauen Pool, die Grünflächen und die Liegen im Innenhof zeigt, lässt auch noch nach zwei Monaten meine Knie schwach werden. Man kann sich ausmalen, wie weit meine leicht verwirrten, aber glitzernden Augen geweitet waren, als ich an meinem ersten Arbeitstag Einzug in diese Luxusoase hielt. Für die Projekte außerhalb der Stadt sehen die Bedingungen natürlich ganz anders aus. Das Paragliding-Resort in der Nähe von Pune zeugte von einer gewissen edlen Schlichtheit, aber das Waisenheim der Mädchen liegt in armen ländlichen Bedingungen und das Stück Land, das meine Chefin besitzt, kann sich noch nicht einmal mit einer Toilette oder einem Wasserhahn brüsten. Dennoch laufen auch die Reisen zu diesen Zielen unter meist sehr glimpflichen Bedingungen ab. Normalerweise trifft man sich an dem edlen Hotel und besteigt den wohlklimatisierten Kombi mit hauseigenem Chauffeur – Raja – um dann eine nicht wirklich beschwerliche 2-4-stündige Reise an das jeweilige Ziel anzutreten. Im Arbeitsalltag bin ich natürlich auch sehr regelmäßig mit Zug, Riksha oder Bus unterwegs, aber meistens steigt die Lebensqualität immens an, sobald ich mit der Organisation reise. (Eine sehr ehrenwerte Außnahme bildet das UBER-Taxisystem, eine App, die sich in Mumbai sehr gut etabliert hat und meistens sogar den Riksha-Tarif schlagen kann!) Ich könnte noch ein wenig so weitermachen und über Ausgaben reden, die an einigen Stellen völlig sorglos gemacht werden, während an anderen dann über fehlendes Geld geklagt wird, aber die essenzielle Emotion ist klar: Für mich bedeutet dieser merkwürdig unausgewogener Arbeitsalltag eine große Portion Verwirrung. In wie viel Luxus wird ganz bewusst investiert und wo geschieht das eventuell aus einer Gewohnheit heraus? Wie ländlich oder urban ist die Ausrichtung meiner Organisation? Wie sehr sind manche Ausgaben ideologisch vereinbar mit einem Konzept wie Permakultur, das sich unter anderem sehr um geschlossene Kreisläufe sorgt? Zu manchen dieser pochenden Fragen scheine ich eine oder mehrere mögliche Antworten gefunden zu haben, doch ich vermute, dass es mir dennoch bis zum Ende meines Praktikums weiterhin im Kopf herumspuken wird. Ich will mich jedoch nicht beklagen: Die momentanen Umstände bedeuten, dass ich bisweilen eine etwas weniger intensive Kulturerfahrung genießen darf und viele unterschiedliche Arbeitswelten und -Weisen auf einmal kennenlerne. Und vor allen Dingen darf ich Videos produzieren!

Symptom Misstrauen

Ich bin krank. Mandelentzündung oder so, meinte der Doc. Das hat einige Unannehmlichkeiten zur Folge, von denen die tiefgreifenste jedoch sein muss, dass eine meiner Lieblingsbeschäftigungen – Essen – derzeit mit einer pfeffrigen Portion Schmerzen gewürzt ist. Ich bemerke also, wie ich wieder zu westlicher Ernährung tendiere, denn weichgekochte Penne in einer öligen Tomatensauce gehen einfach besser runter als scharfer Masala-Dhal und zähes Naan. Soviel zu meiner Annäherung an die indische Cuisine. Gestern war ich beim Arzt. Und dann nochmal bei einem. Wenn ich nett sein soll, wollte ich auf Nummer sicher gehen. Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich beiden Experten nicht wirklich vertraut. Das überrascht mich. Ich kann mich nämlich noch heute glasklar an die Diskussion erinnern, die ich vor vier Jahren in einer kleinen Wüstenstadt Chinas mit meinem damaligen Mitbewohner hatte: Es ging darum, ob man lokalen Medizinern und ihren Methoden vertrauen könne, oder immer versuchen sollte, westliche Ärzte mit westlicher Medizin zu finden. Ich führte die Meinung in’s Feld, dass vor allem Erfahrung den Mediziner ausmacht und örtliche Ärzte davon keinesfalls weniger besäßen als solche in der Heimat. Meinem Mitbewohner hingegen war zu dem Zeitpunkt gerade ein eingewachsener Zehennagel von einem Doktor entfernt worden, der nicht auf das Einsetzen der Lokalanästhesie hatte warten wollen, und seine Position in dieser Sache war dementsprechend negativ gefärbt. Ich habe allerdings auch in der Folgezeit (fast) nie an der Expertise meiner behandelnden chinesischen Ärzte zweifeln müssen, sondern hatte im Gegenteil normalerweise sehr angenehme, vertrauenserweckende Erfahrungen. Warum also scheine ich dieses Vertrauen nicht im vollen Maße für meine indischen Ärzte aufbringen zu können? Vielleicht sind es ja die besonders kurzen Sprechzeiten, in denen ich meistens vergesse, das eine oder andere zu sagen und trotzdem mit einem Rezeptzettel voller Medikamente nach Hause gehe. Denn mit Arztbesuchen scheint es sich bei mir ähnlich zu verhalten wie mit Gängen zum Friseur: Je mehr Zeit mir scheinbar ernsthaft gewidmet wird, desto zufriedener gehe ich nach Hause; selbst wenn das Resultat nach fünf Minuten genauso aussehen würde.Vielleicht ist es ja der allgemeine Hygienezustand der Umgebung. Die Praxen selber wirken häufig genug sauber und scheinbar keimfrei. Wenn aber der Weg dorthin und zurück von Müllhaufen, Aasvögeln, und auf die Straße spuckenden Menschen gesäumt ist, verliert auch das irgendwie an Glaubwürdigkeit. Letztendlich gibt es aber noch einen sehr essentiellen Unterschied zu meiner Krankheitserfahrung in China: Das Reich der Mitte hat seine eigene medizinische Tradition, der es bis heute noch treu folgt. Zwar kann man auch “westliche” Behandlungen bekommen, doch selbst diese sind durchwachsen von traditionellen Techniken, Großmutterrezepten und fernöstlichen Weltansichten. Für mich hatte somit jeder Arztbesuch ein wenig den Kick des Unbekannten vorprogrammiert und ich hatte gleichzeitig gar keine andere Wahl als mich vertrauensvoll in die Hände des Arztes oder der Ärztin zu geben, hatte ich selber ja gar keine Erfahrung mit dieser Form der Behandlung. In Mumbai finde ich zwar keinen einzigen europäischen Mediziner, aber fast jeder Arzt hier scheint die westliche Schulmedizin zu praktizieren. Ich habe schon einmal über Kulturschock geschrieben, und darüber wie nur die Dinge, die uns teilweise vertraut vorkommen, und dennoch anders sind, uns wirklich “schocken” können. Wenn ich also zu einem indischen Arzt gehe, bekomme ich wohl eine Behandlung, die in ihren Grundzügen allem entspricht, was ich aus der Heimat gewohnt bin, und trotzdem ist es nicht dasselbe. Es sind die kleinen Unterschiede, wie eine kürzere Sprechstundenzeit, kleinere Räumlichkeiten, weniger Instrumente, weniger Bücher, keine Computer und direkte Bezahlung, die die vertraute Struktur in ein etwas nebligeres Licht taucht und sich unvertraut anfühlen lässt. Sogar Medikamente tragen beizeiten bekannte Namen, werden jedoch ohne Umverpackung und Beipackzettel und in merkwürdige Folien verschweißt verkauft. All das trägt zu dieser viel zu unvertraut vertrauten Erfahrung in einem zudem unangenehmen Zustand bei. Es gibt jedoch ein kleines Mittelchen gegen dieses leicht krankhafte Misstrauen: Ich wende mich an Personen, mit denen ich Gefühle der Fremdheit bereits überwunden habe, um mich von ihnen und ihrer persönlichen Expertise durch solche kulturellen Irrgärten geleiten zu lassen. Das hilft. Ein wenig.

Verschrobene verbotene Verliebtheit

Das ist ein Vorgeschmack.* Die letzte Woche hat einige Veränderungen mit sich gebracht und die Gravierenste davon ist wohl, dass ich erste intensivere Bekanntschaften schließen konnte. Als gerade so erwachsen werdender Mensch war ich bisher immer in Räumen unterwegs, die neue Bekannt- und Freundschaften einfach und alltäglich gemacht haben: Kindergarten, Schule, Freiwilligendienst, Studium. Und jetzt war ich plötzlich im Berufsalltag gelandet und zunächst völlig überfordert von der Aufgabe, meinem Leben ganz bewusst neue Menschen hinzuzufügen. Modernität sei Dank, hat aber auch das schließlich geklappt und ich bin in Kontakt mit einigen wirklich spannenden Leuten gekommen. Der größte Unterschied, den diese Veränderung mit sich bringt, ist, dass ich plötzlich nicht mehr bloß eigens selektierte Informationen erhalte: Bisher stellte ich Fragen und bekam Antworten. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Menschen, die nun Zeit mit mir verbringen, einfach um der Zeit willen, erzählen mir von sich aus das, was ihnen auf der Zunge liegt. Ich bin also plötzlich nicht mehr Interviewer sondern Zuhörer und gebe das Ruder der Konversation aus der Hand. Ich muss natürlich feststellen, dass das bei manchen einiges an sogenanntem “Trash talk” – also Logorrhoe – induziert. Wäre bei mir wahrscheinlich nicht anders. Aber in fast jeder Konversation stoße ich auf ein paar Goldstücke spannender kultureller oder persönlicher Information. Und ich merkte schnell, dass ich ein Lieblingsthema habe, das mir, wie natürlich, einen Riesenspaß macht und einen nicht enden wollenden Strom an spannenden Fragen beschert: Das schräge öffentliche Liebesleben Mumbais. Es wirkt zunächst wie ein kalter Ort, wenn man, kaum einen Tag gereist, plötzlich keine öffentlichen Zeichen von romantischer Affektion mehr zu sehen bekommt. Auf den Straßen dominieren gleichgeschlechtliche Gruppen: Rudel von Männern und Schulen von Frauen. Sieht man einmal gemischte Gruppen, gehen Männer und Frauen nebeneinander, nie miteinander, und ihre Gesichter wirken geschäftlich, wenn sie miteinander reden. Abends gehe ich gerne zur Promenade und ab und zu sogar auf die Steine, die einen 200m breiten Streifen vor der Wasserlinie bilden. Haben sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt, tauchen plötzlich überall um mich herum weiße und bunte Flecken auf – die einzigen Zeugen unvorsichtig hell gekleideter Pärchen, die sich am gesamten steinigen Strand ihre Plätze gesucht haben und im Schutz der Dunkelheit Liebkosungen austauschen. Doch schon auf der Promenade und in Parkanlagen kann man ab Einbruch der Dämmerung Pärchen in unverholener Umarmung oder Hände haltend sehen. Sogar die Auffahrt auf die Schnellstraße ist schon am späten Nachmittag von sich küssenden Pärchen und ihren Motorrädern gesäumt. Natürlich kann ich bei so etwas nicht widerstehen, alle nur möglichen Informationen aufzusaugen, wie Tinte auf einem Deckblatt! Eltern wissen nichts von dem Liebesleben ihrer Kinder, erzählen mir meine Freunde. Die meisten ansatzweise traditionellen Familien haben Regeln, die das Führen von vorehelichen Beziehungen besonders knifflig machen. Ausgangssperren seien hier nur als das beliebteste Mittel angeführt. Ich bin bisher auch noch über keinen jungen Menschen gestolpert, der mir davon berichtete, dass seine Eltern ihm das Übernachten des Partners oder der Partnerin im Haus der Familie erlaubten. Und grundsätzlich kann das Zeigen von Intimität in der Öffentlichkeit potentiell sehr empfindlich aufgenommen werden. Da müssen Auswege geschaffen werden und da hilft dann eben nur freier Himmel und Dunkelheit. Mir wurde sogar anvertraut, dass Pärchen Kinokarten für den derzeit unbeliebtesten Film kaufen, um relativ ungestörte drei Stunden in den letzten Reihen des Vorführsaals für sich zu haben. Die ganze Nummer wirkt natürlich etwas skurril, schaut man um sich und entdeckt freizügige Werbeplakate für Dessous oder Erotik-Kunstbücher in Buchhandlungen. Ich wurde hier auch nicht nur einmal Ohrenzeuge von Gesprächen über Dating, Liebesleben oder Sex. Mumbai scheint begeistert von diesen Thematiken und die Bestsellerliste bestätigt das nur: Vor allem weibliche Schriftsteller scheinen die provokantesten Werke in diese Richtung zu publizieren und greifen Fragen auf, die vorehelichen Sex, verbotene Liebe, Missbrauch, Mutterschaft, und vieles mehr betreffen. Ich hatte schließlich vor kurzem ein interessantes Gespräch mit meinem Kollegen Chandan. Indien stehe, was Beziehungsleben (und vieles mehr) betrifft, an einem Generationenwandel: Die jüngere, unsere, Generation lehne die Werte ihrer Eltern ab und versuche, traditionellem Denken und seinen Beschränkungen zu entkommen. Gleichzeitig sei aber keineswegs eindeutig, was das elterliche Verhalten schließlich in puncto Kindererziehung ersetzen wird. Die Frage, wie mit privatem und öffentlichen Beziehungsleben umgegangen werden soll, bleibe weiterhin umstritten und verwirrend in einem so multireligiösem und multikulturellen Raum wie Mumbai. Chandan meinte, er wisse selber nicht, wie er einmal mit seinen Kindern in dieser Hinsicht umgehen werde. Für mich persönlich war das heimliche öffentliche Beziehungsverhalten am Anfang gleichermaßen befremdlich wie amüsant. Ich musste an erste Liebschaften während der Schulzeit denken, als noch niemand von etwas Wind bekommen sollte und man in Ruhe diese ersten Dinge miteinander ausprobieren wollte. Die Fremdheit ist mittlerweile einem sehr vertrauten Gefühl gewichen, wann immer ich mich an einem der “Küssen-erlaubt”-Orte aufhalte. Es stimmt mich sehr friedlich, zu wissen, dass sich hier so viele junge Menschen mit ihren Emotionen sicher fühlen, Traditionen brechen und neue Formeln für das junge Leben in dieser Stadt schreiben.     *Ich plane, einen etwas ausführlicheren, literaturgestützten Artikel im Laufe der nächsten Monate hierüber zu schreiben. Die fertige Arbeit wird vermutlich dann unter “Ethnographien” zu lesen sein.    

Merkwürdige Metropole Mumbai

“Und, wie gefällt es dir hier?” Wenn es eine Frage gibt, die mich in den letzten Wochen verfolgt hat, dann muss es wohl diese sein. Das Schöne als Neuankömmling ist es, diese Frage ungestraft mit “Weiß ich noch gar nicht. Ist alles so neu hier!” beantworten zu können. Doch mit jedem verflossenen Tag hier sinkt bei mir die Glaubwürdigkeit dieser Aussage und es werden handfeste, idealerweise reflektiert positive Einschätzungen erwartet. Eine erste Bilianz erscheint also überfällig. Zunächst: Mumbai ist komisch. Warum? Weil es eine der größten Metropolen der Welt ist und ich keinen Supermarkt finden kann. Darum. Mumbai ist natürlich auch noch auf viele andere Weisen komisch: Der Flughafen liegt mitten in der Stadt, es gibt nur eine einzige Metrolinie an einer denkbar unpraktischen Stelle, der Verkehr bricht jeden Tag auf’s neue zusammen und das Konzept Gehweg ist scheinbar auch nicht wirklich populär. Es sind also hauptsächlich infrastrukturelle Aspekte die mich zu diesem Zeitpunkt verwirren, davon aber vor allem die allererste der obigen Seltsamheiten: Keine Supermärkte. Natürlich stimmt das nicht zu hundert Prozent. Es gibt durchaus einige Einkaufsläden, die man als Mini-Supermarkt bezeichnen könnte, aber verglichen mit anderen Städten… Und das trifft den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf: Andere Städte! Ich denke die große Verwirrung, die ich ob dieser ungewohnten Struktur verspüre, rührt einzig und allein von meiner bisherigen Einschätzung her, urbanen Exotismus in Europa, China, Hong Kong und Singapur ausreichend kennengelernt zu haben, um von keiner weiteren Stadt mehr aus den Latschen gehauen zu werden. Doch siehe da: Mumbai. Eine weitere Frage, die natürlich häufig an mich herangetragen wird ist die, wie es mir denn hier gehe. Mir geht es sehr gut, das kann man wohl nicht anders sagen: Ich schmause halbwegs selbstsicher an indischem Essen und exotischen Früchten, lebe allein in einer vergleichsweise gut ausgestatteten Wohnung, lerne langsam auch sehr nette Leute kennen, und habe eine sichere Nachbarschaft in Meeresnähe. Natürlich gibt es einige Dinge, die hier auch fehlen: Freunde, Familie, Ruhe, die erwähnten Supermärkte, Bibliotheken, saubere Wiesen, die kurzen Distanzen, Backofenpizza und sogar ein wenig Unialltag. Und Mangos. “Nicht die Saison”, sagen sie. Lächerlich! Es ist also natürlich nicht der siebte Himmel, aber für einen mittelfristigen Ausnahmezustand wirklich mehr als nur erträglich hier! Zuletzt macht bestimmt noch ein Wort zu meiner Arbeit Sinn. Während der letzten Wochen wurde ich hier vor allem immer mehr und aktiver eingebunden. Ich bin mittlerweile fest in einen Social-Media-Wochenplan eingeplant, verfasse einige Artikel (die in ähnlicher Version auch hier zu lesen sind) und bin bei so ziemlich allem immer mit dabei. Zeitlich steuert das leider ziemlich zielstrebig auf eine vollwertige 6-Tage-Arbeitswoche zu, sodass ich mir immer wieder aktiv Raum schaffen muss, um meine eigenen Projekte oder Freizeitaktivitäten verfolgen zu können. Und obwohl meine Kollegen wirklich schwer in Ordnung sind, musste ich in den vergangenen Tagen auch feststellen, dass die Organisation trotz allem immer noch ihre ökonomischen Interessen sehr stark priorisiert. Besonders diese Erkenntnis hat mich zwischenzeitlich stark verwirrt, führt Permakultur doch vor allem auch zwischenmenschliche Werte sehr lautstark ins Feld. Momentan verbuche ich jedoch auch das als einen Gewinn, beobachte und belausche ich meine Kollegen doch jetzt nur umso genauer, und versuche herauszufinden, wie wohl ich mich mit wie viel Profitgedanke fühle. Ich entdecke aber, dass ich mehr und mehr für das Wissen, das hinter Permakulturtechnologien steckt, zu begeistern bin, und dass meine der reinen Phantasie entspringenden Gedanken und Ideen im Plenum auf jeden Fall ernst genommen, häufig genug sogar mit in die Diskussion aufgenommen werden. In jedem Fall ist die Arbeit mit AES eine ungebrochen vielseitige und meist angenehme Tätigkeit, der ich gerne immer wieder eine oder zwei Stunden mehr abtrete. Meine Ziele für die nächsten Tage sind: Das Devanagari-Alphabet lernen, noch mehr Leute kennenlernen, einen Ruheort finden. Und Couscous kochen.