Ich sitze im Gemeinschaftsraum des Hostels. Im Hintergrund spielt leise eine Reggae-Interpretation von “Karma Chameleon”. Auf den Bodenpolstern fläzt sich eine lautstark schnurrende Katze. Eine Gruppe von deutschen Weltwärts-Freiwilligen spielt Billiard, das Klacken der Kugeln und ihr Lachen übertönen alle anderen Geräusche. Ich schaue mir über Ohrstöpsel eine Vox-Dokumentation auf Youtube an.
Eigentlich tue ich schon seit langem nur noch so, als schaue ich mir noch das Video an. Neben mir sitzen zwei Mädchen und ich verfolge heimlich ihre Konversation. Die eine hat eine Reihe von Tattoos, die aus beiden Ärmeln herausragen und Piercings in Nase und Ohren. Die andere erinnert mich mit ihrem breiten Lächeln, der hohen Stirn und weiten Augen an einen früheren Schwarm. Ich habe wirklich nicht die leiseste Ahnung, worüber sie reden könnten, kann aber nicht umhin, immer wieder verstohlen zur Seite zu lugen und das Gespräch zu verfolgen versuchen.
Das hochstirnige Mädchen sitzt mir schräg gegenüber und ich beobachte fasziniert ihre lachenden Augen, die präzisen kleinen Gesten und die sich schnell bewegenden Lippen. Ich muss gar nicht die Kopfhörer aus den Ohren nehmen, um zu wissen, dass dabei kein einziger Laut ihren Mund verlässt. Die beiden unterhalten sich in Gebärdensprache. Und ich kann meinen Blick einfach nicht mehr davon lösen. So faszinierend!
Ich ertappe mich dabei, wie ich die Ohren der beiden mustere und zu erraten versuche, welche der beiden wohl die Ertaubte sein könnte. Eigentlich spielt es keine Rolle, denn keine der beiden scheint auch nur die geringsten Kommunikationsschwierigkeiten aufzuweisen. Die Intensität der Unterhaltung steigert sich sichtlich und eruptiert schließlich in lautem Lachen beider Seiten, als ein Witz seine Pointe erreicht. Sogleich steigen beide wieder in eine konzentrierte Konversation ein.Als ich einen Seitenblick des bislang ausschließlich auf ihre Gesprächspartnerin fokussierten Mädchens auffange, realisiere ich, wie gebannt ich die beiden wohl schon seit einer Weile anstarren muss und kehre roten Kopfes zu meiner Doku zurück.
Meine Gedanken wandern aber schon bald wieder zurück zu der Gebärden-Kommunikation, deren Zeuge ich sein darf, und ich frage mich, woher meine beinahe kindliche Faszination für diese Sprache – denn im Grunde ist es ja nichts anderes – wohl rühren mag. Wahrscheinlich ist es in erster Linie eine besonders intensive Form der Fremdheit, die mich hier in den Bann zieht, benutzt Gebärdensprache doch Seitenprodukte alltäglicher Konversation, aber in einem unglaublich umfangreichen, präzisen und für andere unverständlichen Maße. Sie ist auch so sicht- und “abhörbar” wie sonst keine Form der Kommunikation und mahnt dennoch mehr einer Geheimsprache, denn weit verbreitetem Wissen an.
Was noch? Im Gegensatz zu gesprochenen Sprachen, die in einigen Kontexten sehr neutral und gefühlslos klingen können, scheint Gebärdensprache immer eine emotionale Komponente mit sich zu tragen, allein um verständlich und ausreichend ausdrucksstark zu werden. Wenn ich den beiden Mädchen bei ihrer Konversation zusehe, ist jeder Moment, jeder in die Luft gezeichnete Satz gefärbt von einer deutlich lesbaren Emotion, die sich mühelos von dem Gesicht der Sprechenden ablesen lässt. Letztendlich ist es bestimmt dieser universelle und die gleichzeitige semantische Zugangslosigkeit, die in mir das Verlangen auslöst, unbedingt mitreden zu wollen. Ich mache mir eine gedankliche Notiz: Gebärdensprache lernen (unbedingt!)
nun denn ^^
http://www.gebaerdenlernen.de/index.php?article_id=1
ich hoff, Du gehst darin nicht zu sehr auf; Deine stimme möcht ich nicht missen. dennoch, diese verständigungsmöglichkeit ist ebenso wichtig, wie es esperanto sein könnte, wenn diese auf der ganzen erde zur pflicht geworden wäre. viel irrtümer wären wohl nie geschehn.