Permakultur – Eins

“Permafrost in Indien? Im Spätsommer?” Es gibt einiges, das einem an dem Konzept Permakultur befremdlich vorkommen mag. Vielen meiner Freunden und Verwandten war, musste ich erstaunt feststellen, der Begriff jedoch schon von vorneherein nicht nur befremdlich, sondern sogar gänzlich fremd. Noch sehr viel erstaunter war ich jedoch, als ich merkte, dass selbst ich, der ich stolz jedem erzählte, ich würde nach Indien reisen, um dort Permakulturarbeit kennenzulernen, größte Schwierigkeiten hatte, diesen Begriff kohärent zu erklären. Rückblickend muss ich eine große Enttäuschung für alle meine ernsthaft interessierten Mitmenschen dargestellt haben, die sich bestimmt wunderten, warum ich eine derartige Reise auf mich nehme, um etwas zu verfolgen, das ich selbst nicht wirklich zu kennen scheine. Selbst auf die Frage, warum denn gerade ein Ethnologe an so etwas interessiert sei, hatte ich keine besonders überzeugende Antworten. Natürlich gibt es eine Lehrbuchdefinition. Permakultur ist, so Bill Mollison, die Wissenschaft von der bestmöglichen Anordnung von Komponenten in einem Muster oder System, um Ressourcen zu erhöhen, Energie zu erzeugen oder zu sparen, und Abfall oder Verschmutzungen zu vermeiden. Diese Erklärung ist sicherlich transparent und luzid genug, um alle Fragen bereits im Voraus und restlos zu klären. Dennoch seien an dieser Stelle noch ein paar weitere, ergänzende Informationen angeführt – wenn schon nicht zur Erleuchtung, dann wenigstens zur Unterhaltung der geschätzten Leserschaft. Der oben zitierte Australier Bill Mollison gilt, gemeinsam mit seinem Landsmann David Holmgren als Begründer des Permakulturkonzeptes im Jahr 1974. Gemeinsam entwickelten sie ein Regelwerk, wenn man so will, für die Entwicklung nachhaltig landwirtschaftlicher Gemeinschaften, das seine erste Verschriftlichung in dem 1978 veröffentlichten Werk “Permaculture One” erfuhr. Dieses und nachfolgende Publikationen der beiden Australier gelten bis heute als die Standardwerke der Permakulturbewegung schlechthin und bewaren ihre uneingeschränkte Gültigkeit. Der Begriff Bewegung ist insofern etwas irreführend, als dass das Konzept von Permakultur zunächst akademischen Ursprungs war. Mollison war zur Zeit der Begriffsfindung selbst Forscher im Feld und Psychologiedozent an der Universität von Tasmanien. Erst Jahre später legte er seine universitäre Lehrposition ab, um sich ganz der Lehre von Permakultur zu widmen. Der unmittelbare Erfolg der Permakulturidee fand sich allerdings nicht in den akademischen Kreisen Mollisons und Holmgrens, die hauptsächlich die wagemutige Interdisziplinarität der Idee infrage stellten, sondern bei anwendungsnäheren Umweltaktivisten und Landwirtschaftlern auf der ganzen Welt. Bis heute behält das Lehren und Lernen von Permakultur jedoch seinen semi-akademischen Charakter, der sich in Form von kodifizierten Curricula, ausgeklügelten Kursangeboten und einer weitgehend etablierten Fachsprache wiedererkennen lässt. All das klärt jedoch noch nicht wirklich die Frage, was Permakultur denn eigentlich ist und macht. James R. Veteto und Joshua Lockyer, zwei Umweltanthropologen, die sich intensiv mit diesem und angrenzenden Themen beschäftigt haben, bieten eine etwas umgänglichere Erklärung, als die obige: Permakultur sehe Menschen und menschliche Kreationen wie Handlungen als Teil der natürlichen Umwelt und betone die Verbindungen zwischen denselben. Sie ziele auf bewusst gestaltete Landschaften ab, in denen natürliche Strukturen nachgeahmt werden, um eine nachhaltige Symbiose zwischen den Bedürfnissen des Menschen und seiner Beziehung zur Natur zu erzeugen. Vielleicht verdeutlicht diese Definition am besten das Problem, dem ich mich gegenübersah, als ich “Permakultur” in einfachen Worten umreißen zu suchte. Diese, sehr typische, Erklärung von Veteto und Lockyer greift präzise die wichtigsten Komponenten und Ziele von Permakulturarbeit auf – und kann dennoch nicht beschreiben, wie diese Arbeit im Endeffekt aussieht. Fragen wie “Wie geht Permakultur eigentlich?”, oder “Und was machst du dann dort genau?” konnten somit bei mir nur auf eine Wand von Verwirrung und Ziellosigkeit stoßen. Der Besuch eines ländlicheren Klienten von AES half nun sehr, diese Fragen zumindest ansatzweise zu klären und einen etwas traditionelleren Einblick in die Arbeit von Permakulturisten zu erhalten: Das Grundstück, das Gegenstand des Besuches war, ist an eine Paragliding-Schule inmitten der Hügel- und Schluchtenlandschaft zwischen Mumbai und Pune angeschlossen. Besucher können hier mehrere Tage verbringen, an Kursen teilnehmen, Paragliding praktisch umsetzen, und die vielfältige Landschaft genießen. “Resort” ist wohl der beste Begriff für die Mischung aus Hostel, Trainingsplatz und Farm, die uns dort erwartete. Wir selbst blieben zwei Tage, in denen wir im strömenden Monsunregen die Felder abgingen, Skizzen und Pläne anfertigten, und uns bei Chai und Dhal die nassen Füße wieder zu trocknen suchten. Außenstehende hätten die Arbeit, die AES in dieser Zeit leistete, wahrscheinlich leicht für simples Außendesign halten können. Tatsächlich glich das fertiggestellte Produkt einer bloßen Ansammlung von Blaupausen für die Bepflanzung der Beete und dem Umbau der Gartenanlagen. Die Besonderheiten, die die Anwendung von Permakulturprinzipien verrieten, zeigten sich in dem, was während dieser Aktivitäten ge- und besprochen wurde. Zunächst wurde schnell deutlich, dass die Gestaltung des Grundstücks keine kurzfristige Angelegenheit darstellte. Im Gegenteil wurden teilweise sogar 5- und 10-Jahres-Pläne aufgestellt; eine überraschend weitreichende Planung für einen Bereich, der im Grunde lediglich als ein vergrößerter Garten hätte bezeichnet werden können. Eine weitere, wirklich erstaunliche Erkenntnis wurde das immense Detailwissen über Pflanzenarten, Anbauweisen und praktische Erfahrungswerte, das die Mitarbeiter von AES in die Konzeptualisierung des Grundstücks einbrachten. Als in diesen Bereichen viel zu unbewanderter Städtling, fühlte ich mich plötzlich, als sei ich ein Grundschüler auf Exkursion, anstatt studierender Praktikant in dieser Organisation. Schlussendlich war jedoch auch besonders auffällig, wie über die Pläne einer nachhaltigen Gestaltung gesprochen wurde, also die Wortwahl, die AES in diesen Fragen anwand. Gerade Gestaltung, mit fast schon künstlerischem Einschlag, schien das Zentrum der Gedanken zu sein, und Design der Kern aller Bemühungen. Daneben ließ sich aber auch ein dialektisches Verhältnis von menschlichen und natürlichen Elementen feststellen, denn es wurde immer darüber nachgedacht, wo Wege angelegt, Sitzbänke aufgestellt, und Unterstände errichtet werden könnten, im nächsten Satz jedoch wieder deutlich die Priorität natürlicher Bedingungen und Bedürfnisse betont. Sätze wie “Lass dir vom Land zeigen, was du dort machen kannst.” oder “Die Natur macht hier ihr eigenes Ding und das ist auch gut so.” klangen zwar zunächst etwas esoterisch, drückten jedoch letztendlich einfach die Wichtigkeit aus, die der naturgeleiteten Entwicklung dieses Gestaltungsprozesses zuzukommen scheint. Nach dem Besuch dieses Grundstückes nahm ich meine Ausgabe von Vetetos und Lockyers Environmental Anthropology Engaging Ecotopia mal wieder in die Hand und war überrascht, an wie vielen Stellen ich Elemente von Permakultur hervorgehoben fand, die … Read morePermakultur – Eins

Instinkte eines Pfarrerssohn

Ich habe diese Tendenz, egal wohin ich komme, beinahe immer und sehr schnell auf irgendeine Form christlicher Phänomene zu stoßen. Vielleicht macht das die Übung aus zahlreichen Italienurlauben, deren Ziele aus schleierhaften Gründen immer auch eine oder mehrere Kirchen enthielten. Vielleicht ist diese Eigenartigkeit aber auch genetisch veranlagt: als zweifacher Pfarrerssohn liegt es mir eventuell einfach im Blut, instinktiv auf die nächstbeste Kirche zuzusteuern. Mein innerer, christlich veranlagter Kompass, wenn man so will. Sei es, wie es ist: Kirchen und Gottesdienste in fremden Kontexten sind womöglich sehr passende Exemplare für die Faszination, die ich Interkulturalität und Fremdheit im Allgemeinen entgegenbringe. Sie sind nämlich vergleichsweise offensichtliche Träger jenes faszinierenden Paradoxons, das kulturell andersartige Orte umgibt. Auf den in christlichen Kontexten aufgewachsenen Beobachter wirken sie sowohl überraschend vertraut, als auch unerwartet befremdlich. Vertraut deswegen, weil es ein faktisch übergreifendes Phänomen darstellt, das man aus der Heimat kennt und an vielen anderen Orten der Welt wiederfinden wird. Befremdlich dagegen, weil es phänomenologisch völlig anders auftritt, als die gewohnte Situation aus dem heimatlichen Kontext. Im Falle des Gottesdienstes fallen zum Beispiel und vor allem sprachlich andersartig gestaltete Elemente ins Auge (bzw ins Ohr): Die Liturgie des jeweiligen religiösen Kontextes entblößt ihre Andersartigkeit nicht nur durch eine völlig andere Sprache. Sondern mindestens genauso sehr durch die bestimmte Wortwahl, deren Elemente Träger der religiösen Botschaft sind. Diese berührt den fremden Beobachter in diesem Beispiel am tiefsten, ist doch gerade die in der Liturgie verankerte Rhetorik das Element, das dem Religiösen zu einem großen Teil seinen ritualistischen Charakter und damit dem Teilnehmer die Vertrautheit verleiht. [stag_video src=”https://youtu.be/be9aPnMlTts”] In der Erfahrung des Fremden wird diese Vertrautheit nun insofern betrogen, als dass sich das, was wir in nurmehr einer Form kennen und wertschätzen, in völlig anderer Gestalt auftritt. Die meisten Menschen unserer neuen Umgebung werden jedoch an diesen für uns veränderten Formen sicher und enthusiastisch partizipieren. Genau das ist das Moment, in dem Fremdheit wahrgenommen wird. Denn wären wir alle diesen Situationen fremd, dann wären wir zumindest zwischenmenschlich nicht mehr verschieden und damit auch nicht derartig “fremd” zueinander. Ich möchte das noch ein wenig auf die Spitze treiben. Und zwar behaupte ich, dass die Intensität des Fremdheitsgefühls mit der der ursprünglichen Vertrautheit zu einer Situation direkt zusammenhängt: Je ritualisierter, persönlicher, und emotional verbundener eine Situation aus dem bisherigen Alltag, desto tiefgreifender die Fremdheitserfahrung in anderen kulturellen Kontexten. Anders gesagt: Das völlig unbekannte Dhal ist höchstens aufregend; die überhaupt nicht als solche identifizierbare Pizza hingegen schockiert mich zutiefst! Ich wende mich in derartigen Fremdheitssituationen gerne ganz bewusst den Gemeinsamkeiten zu, die mich fremd anfühlenden Menschen wieder näher bringen. Interessanterweise finden sich diese, meiner Beobachtung nach, sehr häufig in Symbolen wieder, die interkulturelle, häufig sogar weltweite Bedeutungssymmetrien haben. Im Fall der Kirche sind die Symbole bekannt: Kirchenschiff, Gemeinde und Predigender, Gekreuzigter Christus. Zwischenmenschlich kann das ein Fingerzeig sein, eine leichte Berührung, ein Lächeln. Interkulturelle Dekodierung, leicht gemacht!